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Lab 2.3 Entgrenzungen: ZeitRaum­Wahrnehmungen     Research Hub 3 »Vergangenheit als öffentlicher
               des Anthropozäns                                  Ressource«
               Projekt »Die Wildnisse des Anthropozäns: Zum      Lab 3.1 Streitwert der Vergangenheit:
               Wandel raum­zeitlicher Referenzen im internationalen   Projekt »Valuing Pasts for Futures: Mobilizing Histo-
               Naturschutz« (mit dem DM München)                 rical and Religious Narratives« (mit dem ZMO Berlin)

               Bernhard Gißibl                                   Stanislau Paulau


               Im Lab zu den Entgrenzungen und Neukombinatio-    Wann und wie werden gesellschaftliche Umwälzun-
               nen von ZeitRaum-Wahrnehmungen im Zuge der An-    gen und Krisen von politischen und religiösen Grup-
               thropozän-Diagnose wurde am 21. / 22. Oktober 2022   pen instrumentalisiert, um alternative Werte und
               in Kooperation mit Helmuth Trischler (Deutsches   Normen, selektive Lesarten und Konstruktionen der
               Museum München) und Bram Büscher (Wageningen      Vergangenheit zu schaffen? Wann wird Religion zur
               University) ein Workshop am Kerschensteiner-Kolleg   mobilisierenden Kraft in Prozessen der Neubewer-
               des Deutschen Museums in München durchgeführt.    tung von Geschichtsbildern?
               Der Titel des zweitägigen Workshops lautete »Zu-  Das Kooperationsprojekt des IEG und des ZMO zielt
               sammen­Leben im Anthropozän – postkapitalistische   darauf ab, die Interferenz religiöser und historischer
               Zukünfte des Naturschutzes«. Im Zentrum stand der   Narrative aus einer interdisziplinären Perspektive zu
               »konviviale Naturschutz« als Paradigma, das Kapitalis-  untersuchen. Von besonderem Interesse sind Kon-
               muskritik und gerechtigkeitsorientierte Haltung der   stellationen interkultureller Begegnungen, in denen
               politischen Ökologie mit der Verabschiedung leiten-  unterschiedliche historische Erzählungen über diesel-
               der Natur-Kultur-Dichotomien der Anthropozän-De-  ben Ereignisse aufeinandertreffen.
               batte kombiniert, um daraus Handlungsanweisungen   Im Rahmen dieses Projekts wurde vom 7. bis 9. Dezem -
               für ein speziesübergreifendes Zusammenleben zu    ber 2022 die internationale Tagung »Iconic Figures:
               gewinnen. Aus historischer, ökologischer, soziologi-  Intersecting Religious and Political Narratives of the
               scher, juristischer und kunsthistorischer Perspektive   Past« von Stanislau Paulau (IEG), Abdoulaye Sounaye,
               wurde diskutiert, wie sich das Paradigma der Konvi-  und Heike Liebau (beide ZMO Berlin) organisiert. Sie
               vialität einordnen lässt in die lange Liste von Konzep-  widmete sich dem Phänomen, dass historische Per-
               ten schutzwürdiger Natur; welche Neu- und Umbe-   sönlichkeiten, an die man sich zum Teil seit Jahrzehn-
               wertungen vergangener Naturschutzpraktiken damit   ten oder gar Jahrhunderten kaum erinnert hat, im
               vorgenommen werden und wie sich ein gedeihliches   Kontext politischer, gesellschaftlicher oder religiöser
               speziesübergreifendes Miteinander aus disziplinär je   Transformationen zuweilen als Vorbilder wieder-
               unterschiedlicher Perspektive vorstellen lässt.   ent deckt, (re)sakralisiert und mit neuer Bedeutung
                                                                 ausgestattet werden.
                                                                 In den Diskussionen haben sich die Teilnehmer:innen
                                                                 eingehend mit der Konstruktion, Dekonstruktion und
                                                                 Funktion von ikonischen Figuren auseinandergesetzt.
                                                                 Die Fallbeispiele umfassten u. a. das postkoloniale
                                                                 und zeitgenössische Indien, den Libanon, Indonesien,
                                                                 Nigeria, Russland und die Ukraine sowie das frühneu-
                                                                 zeitliche Zentraleuropa. Die Diskussionen trugen dazu
                                                                 bei, die Überschneidungen und Interdependenzen
                                                                 zwischen religiösen und politischen Narrativen in
                                                                 der historischen Wissensproduktion und Identitäts-
                                                                 bildung aus einer transregionalen Perspektive zu
                                                                 analysieren. Es wurde deutlich, dass der Begriff der
                                                                 Ikonizität ein spezifisches Verständnis von Bezug-
                                                                 nahme auf die Vergangenheit beschreibt. Er eröffnet
                                                                 somit eine wichtige Perspektive in der Erforschung
                                                                 der Verbindung zwischen religiösen und politischen
                                                                 Narrativen in der historischen Wissensproduktion,
                                                                 Identitätsbildung und Zugehörigkeit.








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