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FORSCHUNGSBEREICH 2
SAKRALISIERUNG UND DESAKRALISIERUNG
Das Heilige hat Konjunktur, beispielsweise, wenn verbunden sind gegenläufige Phänomene der Desak-
Museen im Zuge der Restitutionsdebatte von ko lo ralisierung. Das meint Prozesse, Handlungen und Zu-
nialem Raubgut besondere Umgangsweisen für schreibungen – beispielsweise in Form von Sakrilegen
sakrale Objekte erarbeiten, oder wenn der russisch oder Blasphemie –, durch die sakralisierte Instanzen
orthodoxe Patriarch Kyrill I. Putins Angriffskrieg oder Phänomene ihren Status verändern oder einbü-
auf die Ukraine zum metaphysischen Kampf gegen ßen. Im historischen Zugriff des Forschungsbereichs
das Böse erklärt. Derlei Zuschreibungen von Unver- werden (De)Sakralisierungen als paradoxe Phänome-
fügbarkeit, ultimativer Bedeutung oder transzen ne erkennbar: Das Sakrale ist in der Moderne geprägt
dentalmetaphysischer Verankerung bestimmter durch die permanente Verhandelbarkeit dessen,
Ideen, Prinzipien, Schriften, Objekte oder Praktiken was eigentlich unverfügbar und unverhandelbar
finden sich in allen europäischen Gesellschaften sein soll. Sakralisierungen finden sich, zumal in der
der letzten Jahrhunderte. Sie werden dazu benutzt, gegenwarts nahen Zeitgeschichte, auch jenseits der
normative Ansprüche an gesellschaftliche Gruppen Sphäre institutionali sierter Religiosität.
zu vermitteln und zu legitimieren. Im Jahr 2022 hat der Forschungsbereich 2 die Diskus-
sionen und Beiträge der im November 2021 durchge-
Der Forschungsbereich befasst sich mit Sakralisie- führten internationalen Konferenz »Beyond Secu-
rungen und Desakralisierungen als kulturelle Praxis. larization – (De)Sacralization in Modern European
Er untersucht Prozesse, Aktionen und Formen, mit History« systematisiert und zur Publikation in einem
denen Ideen, Personen und Handlungen, aber auch englisch sprachigen Sammelband ausgearbeitet.
Objekte und Räume als »sakral« ausgezeichnet
und hervorgebracht wurden. Untrennbar damit Sprecher: Benedikt Brunner und Bernhard Gißibl