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IM FOKUS



               DEMYSTIFYING THE SACRED:

               BLASPHEMY AND VIOLENCE FROM THE

               FRENCH REVOLUTION TO TODAY






               Herausgegeben von Eveline G. Bouwers (IEG)
               und David Nash (Oxford Brookes University)


               Die Verspottung einer Gottheit, von geweihten
               Objekten oder sakralen Texten – oft haben Gläubige
               solche Versuche zur Entmystifizierung des Heiligen
               als eine Form von Gewalt erfahren. Sie galt es zu
               bekämpfen, nicht selten ebenfalls mit physischer
               Gewalt. Diese Verbindung von Gotteslästerung und
               Gewalt untersucht der von Eveline Bouwers gemein-
               sam mit David Nash herausgegebene Sammelband
               Demystifying the Sacred: Blasphemy and Violence
               from the French Revolution to Today.
               Anhand ausgewählter Fallbeispiele der europäischen
               Geschichte seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert
               behandelt das Buch blasphemisches Verhalten im
               Zusammenhang mit revolutionären Umwälzungen.
               Es untersucht die Fallbeispiele als Auslöser von physi-
               scher Gewalt, aber auch als eine Form von erfahrener
               Gewalt. Die Beiträge beleuchten das Wesen und die
               Wirkung von Blasphemievorwürfen und die damit     einer wackeligen theologischen und rechtlichen
               zusammenhängenden Handlungen von Ketzerei,        Grundlage ruhte. Erst der Ayatollah, so Sings Fazit,
               Apostasie und Sakrileg. Weiterhin thematisieren sie   habe die sogenannte »Rushdie-Affäre« entstehen
               den historischen und rechtlichen Rahmen solcher   lassen. Weitere im Buch versammelte Fallstudien
               Religionsvergehen sowie die physischen und symbo-  reichen vom Revolutionären Frankreich und Tunesien
               lischen Gewaltakte, die sie begleiteten. Damit zeigt   im 19. Jahrhundert über das Deutsche Kaiserreich
               der Band nicht nur, welch immense Rolle religiöse   bis zum Spanischen Bürgerkrieg und dem Russland
               Gefühle in modernen Gesellschaften seit dem       Vladimir Putins.
               18. Jahrhundert spielen. Er dokumentiert auch das bis   Die Publikation geht zurück auf einen Autorenwork-
               in die Gegenwart anhaltende Gewalt potenzial, das in   shop, der im März 2020 auf Einladung des Zentrums
               der Kritik oder Verspottung dessen steckt, was ande-  für die Geschichte des Liberalismus (Liberas) im
               ren »heilig« ist. Sei es in der Verhöhnung des Sakralen   belgischen Gent stattfand. Der Band ist 2022 in der
               selbst oder in den Reaktionen auf Gottes lästerungen   Reihe »New Perspectives on the History of Liberalism
               und andere Religionsvergehen.                     and Freethought« erschienen, sowohl in Buchform
               Die Beiträge der international ausgewiesenen Ex-  als auch im Open Access.
               pert:innen zeigen, in welch vielfältigen Kontexten
               Blasphemievorwürfe eingesetzt werden konnten.     Eveline G. Bouwers / David Nash (Hg.):
               Sie dienten unter anderem zur Anfeindung revolutio-  Demystifying the Sacred:
               närer Politik, aber auch zur Unterdrückung religiöser   Blasphemy and Violence from the
               Minderheiten und als Warnung vor angeblichem mo-  French Revolution to Today,
               ralischen und geistigen Verfall. Manfred Sing, IEG,   De Gruyter Oldenbourg, 2022, 313 Seiten,
               analysiert in seinem Beitrag zum Sammelband die   ISBN 978-3-1107-1302-2, auch Open Access:
               Reaktionen innerhalb der islamischen Welt auf die
               Veröffentlichung von Salman Rushdies Roman Die                        Zur Publikation
               satanischen Verse im Jahr 1988. Sing zeigt, dass zwar        URL: <https://doi.org/10.1515/
               viele Muslime über die Publikation schockiert wa-                     9783110713091>
               ren. Doch erst der Aufruf zum Mord (fatwā) durch
               den iranischen Ayatollah Ruhollah Khomeini führte
               zur teils gewaltsamen Mobilisierung der internati-
               onalen Muslimgemeinschaft, obwohl die fatwā auf



                                                                      IEG-Jahresbericht 2022 | Forschung       29
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