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FORSCHUNGSBEREICH 1








































               PLURALISIERUNG UND MARGINALITÄT





               Das Motto der Europäischen Union »In Vielfalt     derjenigen, die nicht als Teil der Mehrheit gesehen
               geeint« hebt das Ideal der Vielheit Europas hervor.   wurden oder sich selbst als Minderheit verstanden.
               Aber gehört die Pluralität wirklich zur DNA Europas?   Diese Themen behandelt der Forschungsbereich
               Oder ist diese Formel nur eine Erfindung der Nach-  in folgenden vier Teilbereichen: intra- und inter-
               kriegszeit, um den europäischen Einigungsprozess   konfessionelle Differenzierungsversuche; Hand-
               zu legitimieren? Der Forschungsbereich geht dieser   lungsstrategien von Minderheiten und koloniale
               Frage nach, indem er das dynamische Verhältnis von   Repräsentationspraktiken; die umkämpfte Gestal-
               Pluralisierung und Marginalität in Europa zwischen   tung und Akzeptanz von Pluralitätsordnungen und
               dem 16. und dem 20. Jahrhundert untersucht.       die Frage, wie sich religiöse Lehrformulierungen,
                                                                 wissenschaftliche Begriffe und juristische Normen
               Anhand von Fallstudien aus der Religions- und Gesell-  herausbildeten.
               schaftsgeschichte verortet der Forschungsbereich   Indem der Forschungsbereich die historische Be -

               die Entstehung der Idee eines pluralen Europas in   dingt heit von Pluralisierungsprozessen und Margi -
               der Neuzeit. Er untersucht Pluralisierungsprozesse,   nalitätspositionen untersucht, konturiert er den
               die das gesellschaftliche Leben seit dem 16. Jahrhun-  Umgang mit Differenz in der europäischen Neuzeit.
               dert dynamisierten. Dabei erhellt er, wie Gruppen   Im Jahr 2022 diskutierte der Forschungsbereich
               marginalisiert wurden, belegt aber auch, wie sich   seine Themen im diachronen und synchronen
               Minderheiten gegenüber der Mehrheit positionierten   Vergleich. Er setzte sich dabei u. a. mit den Konzep-
               und kulturelle Souveränität oder religiöse Eigenstän-  ten der Agency / Advocacy und der Invektivität
               digkeit beanspruchten. Die Forschenden zeigen auf,   aus einander.
               wie sich die Konstruktion und die Wahrnehmung von
               Vielfalt auf kultureller, sozialer und religiöser Ebene   Sprecherin und Sprecher (2022): Eveline G. Bouwers /
               wandelte. Gleichzeitig beleuchten sie das Schicksal   Riley Linebaugh und Henning P. Jürgens
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