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TRANSATLANTISCHE FAMILIEN.                        TRANSKONFESSIONELLE MOBILITÄT.
               DIE LEBEN DEUTSCHER                               DIE RUSSISCH-ORTHODOXE MISSION
               REVOLUTIONSFLÜCHTLINGE                            UND DAS OSTSYRISCHE CHRISTENTUM
               (1848 / 49–1914)                                  IM IRAN (1898–1918)

               Sarah Panter                                      Stanislau Paulau
               2015–2022 Institutionelle Förderung               am IEG 2019–2022
               2022–2025 DFG­Förderung                           Institutionelle Förderung



               Wie prägte das politische Selbstverständnis deut-  Das russisch-iranisch-osmanische Grenzgebiet wurde
               scher Revolutionsflüchtlinge nach 1848 / 49 ihr   im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einer
               trans atlantisches Familienleben? Und wie beeinfluss-  Kontaktzone von überregionaler Bedeutung. Dieser
               ten – umgekehrt – ihre Ehefrauen und Kinder den   transimperiale Raum zeichnete sich nicht zuletzt
               Umgang mit der revolutionären Vergangenheit? Das   dadurch aus, dass dort der machtpolitische Streit um
               Projekt geht zur Beantwortung dieser Fragen über   den Einfluss in Zentralasien ausgetragen wurde. An
               die bislang für die »Achtundvierziger / Forty-Eighters«   ihm waren gleich mehrere europäische Akteure betei-
               vorherrschende ideen- und nationalgeschichtliche   ligt. Eng damit verbunden ist ein religionshistorisches
               Deutungen in dreifacher Weise hinaus: Erstens     Phänomen, das bisher kaum erforscht ist: die Aufnah-
               erfasst es ihre Leben als Migrationsbiographien und   me beziehungsweise Verdichtung von Kontakten
               erklärt Selbstverständnis und Handlungskompetenz   zwischen den lokalen orientalischen Christentümern
               der Agierenden aus der Erfahrung von transatlanti-  und den Kirchen euro päischer Provenienz.
               scher Mobilität. Zweitens analysiert es die sozialen,   Im Mittelpunkt des Projekts steht das Fallbeispiel
               wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen des   der Interaktion zwischen der Russischen Orthodo-
               Mobilitätsprozesses. Es hebt die zentrale Bedeutung   xen Kirche und der Apostolischen Kirche des Ostens.
               familialer Netzwerke für die Handlungskompetenz   Erstmals werden die Aushandlungen religiöser Diffe-
               der Agierenden hervor und überschreitet so etab-  renz zwischen der russischen Orthodoxie und dem
               lierte nachrevolutionäre Zäsuren. Drittens nimmt das   ostsyrischen Christentum sowie ihre gegenseitigen
               Vorhaben die Kinder von Revolutionsflüchtlingen in   Wechselwirkungen im langen 19. Jahrhundert analy-
               den Blick. Dadurch eröffnet es einerseits temporal   siert. Von zentraler Bedeutung für das Forschungs-
               eine erweiterte Perspektive auf die Wirkungsge-   vorhaben ist die Frage, wie Mobilität und Wandel der
               schichte der Revolution und untersucht anderer-   selbst- wie auch fremdzugeschriebenen religiösen
               seits ihre transatlantische Hinterlassenschaft in das   Zugehörigkeit zusammenhängen. Damit möchte das
               20. Jahrhundert hinein. Insgesamt zeigt die Analyse   Projekt ein methodisches Instrumentarium erarbei-
               der Lebenswege deutscher Revolutionsflüchtlinge   ten, um die neueren missionsgeschicht lichen Ansätze
               auf, dass Mobilität, Familie und politisches Selbstver-  unter Berücksichtigung von orthodoxer und orienta-
               ständnis eng miteinander verknüpft waren und nur in   lischer Christentumsgeschichte konzeptionell aus-
               ihrem Zusammenwirken verstanden werden können.    zuweiten. Im Jahr 2022 wurde die Fertigstellung der
               Im Jahr 2022 wurde mit der Niederschrift einzelner   Monografie zum Thema des Projekts entscheidend
               Kapitel begonnen.                                 vorangetrieben.
               Sarah Panter schloss im Jahr 2022 außerdem das
               Leibniz-Mentoring-Programm ab; ihre Mentorin war
               Madeleine Herren-Oesch (Basel).






















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