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LivArch - Die Dokumentation von Russlands Krieg gegen die Ukraine: Die Herausforderungen von lebenden Archiven für die historische Wissensproduktion

Seit der weltweiten Verbreitung des Web 2.0 debattieren Historiker über das Paradox des Überflusses und der Knappheit von Archiven und Quellen. Der derzeitige Krieg in der Ukraine (2022-) sticht unter anderen umwälzenden Ereignissen des 21. Jahrhunderts hervor, die ein solches Paradoxon am stärksten verkörpern, wie man an der Entstehung neuer Arten von gemeinschaftlich betriebenen Archiven, der Generierung von Archivmaterial in Echtzeit und dem verstärkten Rückgriff auf digitale Quellen aufgrund der Unzugänglichkeit physischer Archive erkennen kann. Die historische Forschung zu diesem Krieg wird sich auf eine Vielzahl digitaler Quellen stützen, die vor allem auf Basis von Beiträgen in sozialen Netzwerken, Chats, Videos, Schnappschüssen von Mobilgeräten oder georeferenzierten Satellitendaten gesammelt und erzeugt werden. Mit anderen Worten: Historiker müssen solche Archive untersuchen, um die Geschichte dieses Ereignisses zu schreiben und um Methoden und Theorien zu entwickeln, mit denen ähnliche digital archivierte Ereignisse angegangen werden können. 
Darüber hinaus gibt es heikle und ethische Fragen im Zusammenhang mit solchen Archiven, insbesondere wenn es sich um Archive handelt, die traumatische Szenen und mögliche Kriegsverbrechen dokumentieren, wie dies bei einem überfallenen Land im Krieg der Fall sein kann. Diese Verschiebungen konfrontieren uns zudem mit Fragen der Integrität und Nachhaltigkeit von Daten, die den Krieg dokumentieren. All diese Aspekte sind noch nicht systematisch analysiert worden. Wir wissen noch nicht, wie wir unser Verständnis für die notwendige digitale Weiterentwicklung des historischen Forschungsfeldes vor dem Hintergrund neuer, insbesondere kriegsbedingter Archivierungsformen fördern können. 

Das LivArch-Projekt wird sich mit den Faktoren befassen, die sich auf die Umgestaltung der Archivierungspraktiken auswirken, und gleichzeitig eine Bewertung des aktuellen Stands der Technik im Bereich der digitalen Notfallarchivierung vornehmen, wobei der Schwerpunkt darauf liegt, aus den ukrainischen Erfahrungen zu lernen und Formen der gemeinsamen Autorenschaft zwischen denjenigen, die als wissenschaftliche Nutzer von Daten an lebenden und Echtzeit-Archiven arbeiten, den Wissenschaftlern und Aktivisten, die sie geschaffen haben, und den Menschen, die hinter den Stimmen stehen, die diese Archive bilden, zu etablieren. Durch neue Formate der transnationalen Zusammenarbeit versucht das Projekt, ethische Herausforderungen zu identifizieren und zu reflektieren, ein neues epistemologisches Verständnis zu entwickeln und über die Auswirkungen dieser neuen Praxis der Geschichtsschreibung nachzudenken.

LivArch ist ein Verbundprojekt im Rahmen des Förderprogramms „Leibniz Collaborative Excellence“. Neben dem IEG sind folgende Institute beteiligt: Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History, Roy Rosenzweig Center for History and New Media, Center for Urban History, L'viv, Hochschule Darmstadt - University of Applied Sciences, Universität Marburg, Justus-Liebig-Universität Gießen.