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WISSEN ORDNEN UND ENTGRENZEN – Netzwerke, Argumente« analysierte die Transforma-
VOM ANALOGEN ZUM tion von Wissensordnungen in Netzwerken, die ihre
DIGITALEN EUROPA? – Dynamik aus der Interaktion von Expert:innen und
Teil IV der Konferenz-Serie Lai:innen – mit entsprechenden Ausgrenzungen und
»Ein Europa der Differenzen« (2020–2022) Hierarchisierungen – gewinnen. Das abschließende
Tandem befasste sich mit den Ein- und Entgrenzun-
Tagung gen, die mit Ansätzen einhergehen, Europa als Wis-
17.–18.03.2022 sensordnung aufzufassen.
Joachim Berger, Thorsten Wübbena Insgesamt spiegelten die Vorträge das generelle
Paradox wider, dass Wissen zwar universale Geltung
reklamiert, aber in spezifischen Kontexten unter
Die Tagung »Wissen ordnen und entgrenzen – vom unterschiedlichen Bedingungen produziert, rezipiert
analogen zum digitalen Europa« schloss die viertei- und verarbeitet wird. Die beteiligten Akteure artiku-
lige Konferenzreihe »Ein Europa der Differenzen« lier(t)en jeweils eigene Ansprüche und Erwartungen
ab. Diese ist aus der gemeinsamen Arbeit an dem an die Ordnung, Verfügbarkeit und Geltung eines
von 2012 bis 2023 laufenden Forschungsprogramm Wissensfelds. Dabei zeigte sich eine Dialektik der
des IEG zum Leitthema »Umgang mit Differenz im Ent- und Eingrenzung von Wissensbeständen sowie
Europa der Neuzeit« hervorgegangen (s. S. 11ff.). Die der Prinzipien und Verfahren, mit denen sie geordnet
letzte Tagung fragte danach, wie Wissensordnungen werden.
gesellschaftliche Differenzierungen in der Geschichte Ein Tagungsbericht ist am 22. Juli 2022 auf HSozKult
Europas (seit etwa 1500) bestätigt, verstärkt, infrage erschienen.
gestellt oder neu geschaffen haben, und inwiefern
die Digitalisierung solche Differenzierungsprozesse Zum Tagungsbericht
graduell oder prinzipiell verändert hat. Als Wissens- URL: <https://www.hsozkult.de/
ordnungen verstand die Tagung intentional konstru- conferencereport/id/fdkn-128502>
ierte und medial vermittelte Ordnungen, die Wissens-
bestände eingrenzen, systematisieren, klassifizieren
und kategorisieren.
Die Vorträge untersuchten die Entstehung, Etablie-
rung und Infragestellung von Wissensordnungen auf
drei Ebenen: ihrer handlungspraktischen gesellschaft-
lichen Relevanz, ihrer Veränderung durch digitale
Repräsentation und ihrer europäischen Dimension.
Dazu näherten sich »Tandems« aus je einem histo-
risch und einem systematisch-gegenwartsbezogen
ausgerichteten Vortrag dem Gegenstand über sechs
Zugänge: Das erste Tandem »Sprache, Lernen und
Hierarchisierung« behandelte Sprache als elementa-
res Medium zur Kommunikation von Weltwissen. Das
Tandem »Räume, Bewegung und Wissensimaginati-
on« befasste sich mit der Produktion, Ordnung und
Indienstnahme von Wissen über physische Räume.
Das dritte Tandem verfolgte, wie das Ordnen und
Entgrenzen von Wissen über Objekte in physischen
und virtuellen Wissensräumen sinnstiftend narrati-
viert wird, und wie sich solche Ordnungsprozesse
und narrative kritisch reflektieren lassen. Die beiden
Vorträge des Tandems »Spaltung der Gemeinde: Wem
gehört das Wissen nach der Trennung?« brachten die
Ansprüche und Legitimationsstrategien zerstrittener
Lager als Folge religiöser Spaltungen und die Frage
nach Teilungsoptionen im nichtmateriellen Kontext
miteinander ins Gespräch. Das Tandem »Diskurse,
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