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»Minhag Italia«: Die Verhandlung der jüdischen Moderne im neunzehnten Jahrhundert durch das Prisma der italienischen Gebetbücher

Das Projekt wurde von 2018 – 2023 am IEG durchgeführt. Sein Ziel war es, eine digitale und konzeptionelle Analyse italienischer jüdischer Gebetbücher aus dem 19. Jahrhundert durchzuführen, um das traditionelle Narrativ über einige grundlegende Kategorien der jüdischen Moderne in Frage zu stellen: die Kluft zwischen Orthodoxie und Reform und die Bedeutung der Unterscheidung zwischen drei wichtigen jüdischen Gruppen in Europa im modernen Judentum: Sephardim, Aschkenasim und Italkim.
Das vorliegende Forschungsprojekt wollte die scharfen Grenzziehungen zwischen diesen Kategorien verwischen, ohne sie grundsätzlich in Frage zu stellen. Es zielte darauf ab zu zeigen, dass die Unterschiede zwischen ihnen durch die Liturgie in vielen Fällen weniger offensichtlich sind als traditionell angenommen. Liturgische Veränderungen sind für das Verständnis der (Selbst-)Wahrnehmung und der historischen Entwicklungen einer jüdischen Gruppe von Bedeutung, da sie nicht nur den Wandel von Schlüsselkonzepten wie Messianismus oder Erlösung widerspiegeln, sondern auch das sich verändernde Verhältnis zur umgebenden Gesellschaft. Es wird erwartet, dass die liturgischen Veränderungen, die durch den Impuls, das Judentum in die Moderne einzupassen, ausgelöst wurden, oft durch ähnliche interne und externe Faktoren beeinflusst wurden. Im Kurzen: Orthodoxie und Reform sowie Italkim, Sephardim und Aschkenasim beeinflussten sich gegenseitig, wenn sie auf neue Formen der Modernisierung und Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft reagierten. Diese Analyse konnte zum einen die Besonderheiten der verschiedenen Riten im Zusammenhang mit ihrer geografischen Lage und ihrer jüdischen Bezugsgruppe aufzeigen. Andererseits überprüfte es die Hypothese, dass einige liturgische Veränderungen in jeder dieser Gruppen auch eine Reaktion auf Wandlungsprozesse waren, die in konkurrierenden Gruppen stattfanden. Das Projekt wollte zeigen, dass diese Prozesse letztlich zu einer rituellen Annäherung zwischen ihnen geführt haben.
Das Projekt ging von der These aus, dass Gebetbücher keine »statischen« liturgischen Texte waren. Vielmehr sollen sie als historische Quellen untersucht werden, die kulturelle, soziale und politische Veränderungen aufzeigen können. Der Ausgangspunkt war, dass selbst die kleinen Veränderungen der vielen verschiedenen Ausgaben wesentliche Entwicklungen in der (Selbst-)Wahrnehmung eines bestimmten Judentums widerspiegeln können. Das Italien des 19. Jahrhunderts war ein idealer Schauplatz für eine solche Analyse, da hier die drei oben genannten jüdischen Gruppen gleichzeitig vertreten gewesen sind, eine relevante Dynamik zwischen Orthodoxie und Reform bestanden hat und die italienischen Juden im 19. Jahrhundert erhebliche soziokulturelle Veränderungen durchlaufen haben. Die italienischen Entwicklungen wurden in ihre europäische Dimension eingeordnet, um ihre Relevanz für die Judaistik und die allgemeine Geschichtsschreibung weit über den geografischen Bezug der untersuchten Quellen hinaus aufzuzeigen.