Differenz im Alltag. Diplomatie als kollektive Praxis im frühneuzeitlichen Istanbul
Um die binäre Gegenüberstellung von europäischer und osmanischer Diplomatie zu überwinden, fragt das Projekt nach der Rolle von Differenz in der (vor allem englischen) alltäglichen Diplomatie im frühneuzeitlichen Istanbul. Zwar hat die ›Neue Diplomatiegeschichte‹ mit ihrer Zentrierung auf Akteure und Netzwerke das Feld der frühneuzeitlichen Diplomatie inzwischen ganz erheblich erweitert, nicht zuletzt auch in Bezug auf die Diplomatie außerhalb der ›Europäischen Fürstengesellschaft‹. Allerdings legen auch die in diesem Kontext entstandenen Studien ihren Fokus in aller Regel auf die (meist) hochadligen Diplomaten des ›ersten Rangs‹. Zudem nehmen sie häufig stark ritualisierte Formen des Kulturkontakts in den Blick wie Audienzen und anderes höfisches Zeremoniell. Diese Perspektive, so die hier zugrundeliegende Annahme, erlaubt aber lediglich einen eingeschränkten Blick auf die tatsächliche Bedeutung von Differenzen, seien sie sprachlicher, kultureller, religiöser oder politischer Natur. Das Projekt setzt hier an, indem es zwei entscheidende Perspektivverschiebungen vornimmt: Erstens weitet es den Kreis der Akteure -– und Akteurinnen (!) – massiv aus und konzeptionalisiert Diplomatie nicht mehr länger als individuelle Leistung einzelner ›großer Männer‹, sondern als ›kollektive Praxis‹. Zweitens werden auf Grundlage eines erweiterten Diplomatiebegriffs nicht mehr in erster Linie Audienzen und andere höfische Zeremonien, sondern der Alltag frühneuzeitlicher Diplomatie untersucht. Dies betrifft etwa die administrativen Abläufe innerhalb der Botschaften, die Kommunikation innerhalb des ›diplomatischen Milieus‹, aber etwa auch die Beschaffung von Informationen und Spionage. Ziel ist, hinter die stark ritualisierten Begegnungssituationen und die dort ausgefochtenen Symbolkonflikte zu blicken und auf diese Weise die (diplomatischen) Grenzen Europas neu zu vermessen.