»Controversia et Confessio«. Quellenedition zur Bekenntnisbildung und Konfessionalisierung (1548–1580)
Das Forschungs- und Editionsprojekt »Controversia et Confessio« zählt seit 2007 zu den geisteswissenschaftlichen Langzeitprojekten der Akademie und basiert auf einer bio-bibliographischen Datenbank, die auf der online-Plattform des Projekts vollständig durchsuchbar ist. Es ist eingebunden in die Forschungen des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte und steht in Kooperation mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.
Die auf neun Bände geplante Edition dokumentiert die theologischen Streitigkeiten, die nach dem Augsburger Interim von 1548 und dem als Alternative dazu konzipierten Leipziger Landtagsentwurf (»Leipziger Interim«) aufbrachen. Sie orientiert sich dabei an den verhandelten theologiegeschichtlich relevanten Themen, deren Aushandlung auch in gesellschaftliche und politische Bereiche hineinwirkten. Rezeptionsgeschichtlich ausgerichtet, stellt die Edition jene Dokumente zur Verfügung, die in der Öffentlichkeit kontroverse Reaktionen hervorriefen und Antwort- bzw. Gegenschriften provozierten. Auf diese Weise rücken jene Abgrenzungs- und Identitätsbildungsprozesse in den Blick, die für die allmählich entstehende Konfessionalität des späten 16. Jahrhunderts ausschlaggebend wurden und die Europa bis heute prägen. Dabei kommt die theologische Vielfalt des Protestantismus Augsburger Konfession zum Vorschein, die sich vorschnellen konfessionellen Etikettierungen entzieht, sich nicht in vorgegebene Schemata einordnen lässt und, trotz aller historisch gegebenen territorialen Einbindungen, europäisch grenzüberschreitend wirkte. Hinter den theologisch motivierten Kontroversen stand die Auseinandersetzung um das Erbe der vornehmlich von Martin Luther und Philipp Melanchthon getragenen Wittenberger Reformation, außerdem die Frage nach dem neu zu bestimmenden Verhältnis von Religion und Politik sowie die Suche nach zukunftsweisenden, Orientierung gebenden Autoritäten angesichts politischer und gesellschaftlicher Herausforderungen. Dies mündete in ein Ringen um theologische und ethische Authentizität bei gleichzeitiger Pluralisierung der Positionen. Unter kommunikationsgeschichtlichem Aspekt werden zugleich die multifunktionale Dimension von Bekenntnisbildungen sowie der literarische und rhetorische Reichtum einer theologischen »Streitkultur« sichtbar.
Während die gedruckte, auf 9 Bände geplante Ausgabe nur eine Auswahl der in den jeweiligen Kontroversen zentralen Stücke bieten kann, ist eine vollständige bibliographische Dokumentation in der Internet-Datenbank des Projekts zugänglich. Sie erlaubt durch ihre Recherchemöglichkeiten eine Einordnung der Stücke in die jeweiligen Kontroverszusammenhänge, gibt kurze Inhaltsangaben und bietet biographische Artikel zu den jeweiligen Verfassern, deren vielfältige Vernetzung auf diese Weise erhoben werden kann.
Editionsplan
1. Reaktionen auf das Augsburger Interim. Der Interimistische Streit (1548-1549)
Thematik: Widerstand gegen das Augsburger Interim
[erschienen 2010]
2. Der Adiaphoristische Streit (1548-1560)
Thematik: Problem der Freiheit kirchlicher Gebräuche; Frage der Einheit von Lehre, Bekenntnis und Kirchenverfassung; Zusammenhang von Lehre und Bekenntnis mit dem Kultus bzw. kirchliche Riten, Problem des Verhältnisses von Kirche und Staat; Widerstandsproblematik
[erschienen 2012]
3. Der Majoristische Streit (1552-1570)
Thematik: Rolle der guten Werke im Leben des Christen; im weitesten Sinne Frage der Bewertung ethischen Handelns
[erschienen 2014]
4. Der Antinomistische Streit (3. Streitphase, 1556ff)
Thematik: Frage des Gebrauchs des Gesetzes, des »tertius usus legis« als »usus paedagogicus« des Gesetzes und der (Anwendungs-) Bereiche von Gesetz und Evangelium
[erschienen 2016]
5. Der Synergistische Streit (1555-1560/61)
Thematik: Problem des freien Willens des Menschen; Frage der Möglichkeit einer freien Option für das Gute.
[erschienen 2019]
6. Der Erbsündenstreit (1560/61ff)
Thematik: Frage der Substantialität der Erbsünde und damit nach dem christlichen Menschenbild; Einsatz der Fragestellung bei der Weimarer Disputation 1560.
[erscheint 2020]
7. Der Osiandrische Streit (1549-1552ff)
Thematik: die »spiritualisierende« Rechtfertigungslehre Andreas Osianders und deren Zurückweisung.
[erscheint 2022]
8. Die Debatte um die Wittenberger Abendmahlslehre und Christologie (1570-1574)
Thematik: Streitigkeiten um Abendmahl und Christologie; Frage der realen Anwesenheit der Menschheit Christi unter den Elementen Brot und Wein beim Abendmahl; christologische Begründungen der Realpräsenz; »kryptocalvinistische« Streitigkeiten im Zusammenhang mit der kursächsischen Politik.
[erschienen 2008]
9. Antitrinitarische Streitigkeiten. Die tritheistische Phase (1560-1568)
[erschienen 2013]
Projektleitung: Irene Dingel
Projektteam: Kęstutis Daugirdas (2016–2017), Jan Martin Lies (seit 2009), Hans-Otto Schneider, Vera von der Osten Sacken (2008–2012)