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Christine Roll *
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Inhaltsverzeichnis |
Gliederung: 1. DIE VERTRÄGE ZWISCHEN ZAR UND KAISER 1490 BIS 1726
2. ZUR SPRACHE DER VERTRÄGE UND DEREN BEGLAUBIGUNG
3. ZUM GEMEINSAMEN NENNER DER VERTRÄGE: DAS APPELLPOTENTIAL
Anmerkungen
Zitierempfehlung
Text:
Die Beziehungen zwischen Zar und Kaiser unterschieden sich im 16. und 17. Jahrhundert in mancher Hinsicht von den sonst im Europa der Zeit üblichen Herrscher– und Staatenbeziehungen. Insbesondere waren sie bis ins 18. Jahrhundert hinein weniger institutionalisiert, weniger »verstaatlicht«: Erst im Verlaufe der ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts etablierten Zar und Kaiser überhaupt ständige Gesandtschaften am jeweils anderen Hof, und längerfristig vertraglich geregelt wurden bis weit ins 18. Jahrhundert hinein nur wenige Bereiche ihres Verkehrs.
Gerade die Abweichungen der Beziehungen zwischen Zar und Kaiser von der präsumtiven europäischen Norm schärfen jedoch den Blick für die allgemeinen Strukturen der Staaten– und Herrscherbeziehungen der Zeit. So zeigt sich etwa, dass die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im einzelnen von durchaus unterschiedlichen Merkmalen geprägt, folglich keineswegs von gleicher Art waren. Mit dieser Einsicht aber wird die Problematik evident, schon für die Zeit vor den beiden großen Kriegen der ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts, also vor dem Spanischen Erbfolgekrieg und dem Nordischen Krieg, von einem »europäischen Staatensystem« zu sprechen und damit eine solche – empirischen Untersuchungen nicht standhaltende – Gleichartigkeit der Beziehungen vorauszusetzen. Statt dessen – und das lässt sich auch am Beispiel der Beziehungen zwischen Zar und Kaiser vom 16. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts vortrefflich zeigen – sollte man von der Vorstellung einer Entwicklung von zwischenherrscherlichen zu stärker institutionalisierten Staatenbeziehungen ausgehen.[1]
Als ähnlich fruchtbar für allgemeine Einsichten erweist sich die Beschäftigung mit einem wichtigen Ausschnitt aus den Beziehungen zwischen Zar und Kaiser, nämlich mit den zwischen ihnen geschlossenen Verträgen. Über sie allerdings ist im Zusammenhang wenig bekannt. Nicht einmal eine Aufstellung der Verträge liegt vor; in den großen älteren wie den neueren Druckwerken und Verzeichnissen fehlen sie weitgehend – wie denn überhaupt die vom Zaren mit auswärtigen Herrschern geschlossenen Verträge nicht leicht zu beschaffen sind.[2] Friedensverträge, wie sie im Mittelpunkt der Wolfenbüttler Tagung standen, gibt es zwischen Zar und Kaiser darunter für die gesamte Frühe Neuzeit gar nicht. Freilich versprechen die anderen Verträge, die Zar und Kaiser in der Zeit zwischen dem späten 15. und dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts miteinander geschlossen haben, durchaus Auskunft über die in Wolfenbüttel zur Diskussion gestellten Fragen.
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Allerdings sind die Verträge nicht sehr zahlreich: Der erste, ein Offensivbündnis gegen die Jagiellonen, wurde 1490 geschlossen, ein weiterer, ebenfalls ein solches Offensivbündnis, 1514. Erst gut 150 Jahre später, 1675, kam es zum Abschluss des dritten Vertrags, eines geheimen Präliminarvertrags. 1697 wurde der wohl bekannteste Vertrag geschlossen, nämlich das Offensivbündnis gegen die Osmanen, und 1726 schließlich das für den weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts grundlegende Bündnis zwischen den beiden kaiserlichen Majestäten Karl VI. und Katharina I.
Diese Verträge sollen im Folgenden unter einigen der zur Diskussion gestellten Aspekten genauer untersucht werden. In einem ersten Abschnitt werden zunächst die fünf Verträge näher vorgestellt; besondere Aufmerksamkeit kommt dabei dem weitgehend unbekannt gebliebenen geheimen Präliminarvertrag von 1675 zu. Der zweite Abschnitt erörtert das Problem, wie angesichts der unterschiedlichen Sprachen ein authentischer Vertragstext hergestellt und dieser für beide Seiten verlässlich beglaubigt werden konnte. Im dritten Abschnitt schließlich geht es um die im Exposé aufgeworfene Frage, »inwieweit ein gemeinsamer europäischer Nenner oder Konsens bestanden hat«, darum also, was man an ideellen Gemeinsamkeiten formulierte: Es geht um das Appellpotential der Vertragstexte. Die Untersuchung schließt mit einigen Überlegungen über das Verhältnis von Bündnisverträgen zu Friedensverträgen, mit Überlegungen, die zugleich diesen Bericht über Bündnisse im Rahmen einer Tagung über Friedensverträge rechtfertigen sollen. Um das Folgende in seinen historischen Kontext zu stellen, seien der Untersuchung der Verträge zunächst drei grundlegende Vorbemerkungen vorangestellt.
Erste Vorbemerkung: Die bis ins 18. Jahrhundert hinein geringe Anzahl von Verträgen zwischen Zar und Kaiser findet ihre Haupterklärung darin, dass die Notwendigkeit, die Beziehungen vertraglich zu regeln, vergleichsweise gering war: Weder waren die Reiche einander benachbart noch standen die Herrscher in dynastischen Beziehungen miteinander; auch bestanden keine Handelsbeziehungen und – teilweise gewiss eine Konsequenz aus den genannten Merkmalen – hat man keine Kriege gegeneinander geführt oder auch nur gegnerischen Bündnissen angehört. Deshalb wurden zwischen Zar und Kaiser keine Handelsverträge und keine Friedens– oder Waffenstillstandsverträge abgeschlossen. Ebenso wenig bestand die Notwendigkeit zur vertraglichen Regelung von Grenzverhältnissen. Den ersten Heiratsvertrag schloss man erst 1799: Marija Pavlovna – eine Tochter Pauls I. und Enkelin Katharinas der Großen – heiratete Erzherzog Joseph, einen Sohn des 1792 gestorbenen Kaisers Leopold II. Die geringe Anzahl von Verträgen zwischen Zar und Kaiser bedeutet allerdings nicht, dass die Zaren des 16. und 17. Jahrhunderts aus prinzipiellen Gründen vertragliche Bindungen gescheut oder sich, aus angeblicher Europafremdheit oder religiösen Zwängen, womöglich schwer getan hätten, Friedensverträge mit katholischen und protestantischen Herrschern abzuschließen. Vielmehr haben die Zaren mit ihren Nachbarn, den – katholischen – Königen von Polen–Litauen und den – lutherischen – Königen von Schweden, mit deren Armeen die Armeen des Zaren immer wieder im Kriege lagen, in der für Europa üblichen Häufigkeit nicht nur befristete Waffenstillstände, sondern auch Frieden geschlossen.
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Zweite Vorbemerkung: Es war also in allererster Linie die geographische Entfernung, die bewirkte, dass die politische Bedeutung der beiden Herrscher und ihrer Länder füreinander nicht erstrangig war. Wie es zwischen ihnen bis zum Ende unseres Betrachtungszeitraums keine Konflikte gab, die in einen Krieg zu münden drohten, so kamen sie auch über ein distanziertes Wohlwollen nicht hinaus. Die politischen Prioritäten der beiden Herrscher waren nämlich von solcher Art, dass keiner dem Hauptziel des anderen dienen konnte, die beiden Hauptgegner waren jeweils andere: Weder war der Zar gegen den König von Frankreich einsetzbar noch der Kaiser gegen Polen–Litauen, den Hauptgegner des Zarenreichs.[3]
Dritte Vorbemerkung: Angesichts dieser Rahmenbedingungen ist es nicht verwunderlich, dass die politische Annäherung der Herrscher in Wien und Moskau über die gemeinsame Gegnerschaft zu den Osmanen führte. Schon seit dem Ende des 15. Jahrhunderts hatten sich die Kaiser bemüht, die Großfürsten bzw. Zaren in eine Allianz gegen die Osmanen einzubeziehen. Doch in Moskau scheute man lange einen Türkenkrieg. Man war im Gegenteil, wegen der schwierigen Verhältnisse zu den Tataren, an guten Beziehungen zum Sultan interessiert. Das änderte sich aber bald nach 1654, als Zar Aleksej Michajlovic dem Zarenreich die Ukraine einverleibt hatte: Nun war das Zarenreich Nachbar des Osmanenreichs geworden, und man spürte in Moskau selbst die Türkengefahr. Seit den 1670er Jahren waren es dann sogar die Moskauer Herrscher, die ein umfassendes Bündnis gegen die Osmanen zustande zu bringen suchten. In diesen Zusammenhang gehört das 1697 auf drei Jahre geschlossene Bündnis, das unter Teilnahme von Venedig und Polen–Litauen bis zum Frieden von Karlowitz 1699 Bestand und reale politische wie militärische Bedeutung hatte. Und auf der gemeinsamen Gegnerschaft zu den Osmanen basierte auch das Defensivbündnis von 1726.
1. DIE VERTRÄGE ZWISCHEN ZAR UND KAISER 1490 BIS 1726
Die beiden hier zunächst zu erörternden Verträge aus den Jahren 1490 und 1514[4] verdanken ihren Abschluss einer besonderen politischen Konstellation: Die Moskauer Großfürsten und die Habsburger fanden in ihrer Gegnerschaft zum Herrscherhaus der Jagiellonen zusammen, das um 1500 in Mittel– und Ostmitteleuropa dominierte. Beide Verträge sahen ein koordiniertes militärisches Vorgehen der Truppen Maximilians I. und Ivans III. (1462–1505) bzw. Vasilijs III. (1505–1533) gegen den König von Polen und Großfürsten von Litauen vor, waren also Offensivbündnisse. Die Bündnisverpflichtungen waren allerdings nicht sehr verbindlich formuliert, ähnlich wie in vielen anderen Bündnisverträgen der Zeit, jedoch anders als etwa in der Heiligen Liga von Venedig aus dem Jahre 1495.[5] Aber nicht wegen zu geringer Präzision der Bündnisverpflichtungen blieben die beiden Bündnisse militärisch unwirksam, sondern deshalb, weil sich Maximilian jeweils sehr bald mit den Jagiellonen einigte – mit den Wiener Verträgen von 1515 sogar dauerhaft.
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Die Konstellation der Jahre 1490 und 1514 versuchten die Zaren beinahe hundert Jahre lang wieder herzustellen: Kaum dass sich die Beziehungen des Kaisers zu den polnischen Königen zu verschlechtern schienen, deutete der Zar sein Interesse an einem Bündnis mit dem Kaiser an.[6] Erst zu Beginn des 17. Jh. wurde man in Moskau der Tatsache inne, dass mit dem Kaiser ein Bündnis gegen Polen nicht mehr zu schließen war. Es dauerte bis 1656, bis in den Nordischen Krieg hinein, dass der Zar dem Kaiser wieder ein Bündnisangebot unterbreitete; das Bündnis sollte sich gegen Schweden richten, es wurde von Ferdinand III. aber zunächst abgelehnt. Als der Kaiser dann im folgenden Jahr seinerseits einen solchen Vorschlag in Moskau vortragen ließ, hatte sich der Zar mit Schweden schon wieder arrangiert.[7] Es gelang also bis zur Mitte des 17. Jahrhundert nicht, die als übereinstimmend erkannten politischen Interessen bündnispolitisch zu synchronisieren. Erst 1675 ist es dann zum Abschluss eines Vertrags zwischen Zar und Kaiser gekommen. Dieser in vielerlei Hinsicht interessante Vertrag sei nun genauer vorgestellt.
Mit der Abfertigung des Hannibal Franz von Bottoni und Johann Carl Terlinger de Guzman im Frühjahr 1675 entsprach Kaiser Leopold dem langjährigem Wunsch des Zaren Aleksej, eine hochrangige kaiserliche Gesandtschaft im Kreml zu sehen und sich mit dem Kaiser »in einem engeren verständnus« zu verbinden.[8] Dahinter steckte vor allem das Interesse des Zaren an einem Türkenkrieg, denn seit 1672 befanden sich der Süden Polens und die Ukraine in höchst bedrängter Lage. Für den Kaiserhof dagegen stand diesmal nicht ein Bündnis gegen die Osmanen im Mittelpunkt des Interesses – 1664 war in Vasvar/Eisenburg Frieden geschlossen worden –, sondern der Ausbau der Koalition gegen Ludwig XIV. In dieser Konstellation kam es tatsächlich zu einem Vertrag zwischen den Gesandten Kaiser Leopolds und den Verhandlungsführern Zar Aleksejs: Bottoni und Terlinger unterzeichneten am 22. Oktober 1675 in Moskau einen geheimzuhaltenden Präliminarvertrag[9], der ein in naher Zukunft auszuhandelndes Bündnis vorsah, ein »foedus austriaco–moscoviticum«. Von Seiten des Zaren unterzeichneten Artamon Sergeevic Matveev, seit 1670 der Leiter des Posol'skij Prikaz, des Moskauer Außen– oder Gesandtschaftsamts, ferner die dort beamteten Sekretäre Vasilij Bobinin und Emeljan Ukraincev. Die Verhandlungen über eine vertragliche Regelung strittiger Fragen hinsichtlich des Zeremoniells bei Audienzen zarischer Gesandter am Kaiserhof sowie über die Forderung des Zaren nach dem Majestätsprädikat führten dagegen nicht zum gewünschten Erfolg; es wurde sogar in einer Art Notenwechsel festgehalten, dass man darüber nicht überein gekommen sei.[10]
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Unabhängig davon wurde aber ein eminent politischer Präliminarvertrag abgeschlossen. In ihm ist vom Zaren sogar stets, wie von diesem gewünscht, als »seine czaarliche may.« die Rede, ein guter Beleg dafür, dass die zeremoniellen und Rangstreitigkeiten bei entsprechenden politischen Interessen eben doch interimistisch gelöst werden konnten. Nach dem Text des Präliminarvertrags hielten es die beiden großen Herrscher zum Wohle der christlichen Welt für gut, miteinander ein Bündnis zu schließen. Als Hauptziel wurde vereinbart, nichts gegeneinander zu unternehmen »und in brüderlicher wahrer Freundschaft und Liebe zu sein«, »v bratskoj vernoj družbe i ljubvi«. Als Maximalziel wurde ein gemeinsamer Türkenkrieg in Aussicht genommen. Doch zur Zeit, so wurde festgehalten, könne der Kaiser kein Bündnis gegen den türkischen Sultan eingehen, weil er noch einige Jahre durch einen Waffenstillstand gebunden sei; gemeint ist Eisenburg/Vasvar 1664. Zudem, so heißt es weiter, wolle sich der Kaiser wegen seines Kriegs gegen Schweden und Frankreich, also wegen des Holländischen Kriegs, nicht sofort in ein Bündnis gegen die Osmanen begeben. Deshalb sei es nötig, auf den Ablauf des Waffenstillstands mit den Osmanen zu warten, um dann, »nachdem auch mit jenen Potentaten Ruhe sein wird«, gegebenenfalls das vom Zaren gewünschte Bündnis zu schließen. Im Gegenzug sagte Zar Aleksej zu, schon jetzt einige Truppen an die Grenze zu den schwedischen Besitzungen im Baltikum zu schicken, damit der Kaiser sich schneller »von seinen feinden losmachen« könne. Aber auch der Zar war an eine »alte pacification« gebunden – nämlich den Frieden von Kardis mit dem König von Schweden aus dem Jahre 1661 – und wollte diese ebenfalls nicht brechen. Immerhin ließ der Zar im folgenden Jahr 1676 eine erhebliche Anzahl Truppen an die Grenze nach Schweden verlegen.
Weder die vom Zaren gewünschte gemeinsame Offensive gegen das Osmanische Reich noch der vom Kaiser angestrebte Angriff des Zaren auf das schwedische Baltikum zur Schwächung der schwedisch–französischen Allianz war demnach zum damaligen Zeitpunkt möglich. Damit könnte man wieder von unzureichender Synchronisierung der politischen Interessen sprechen und den Vertrag zur Seite legen. Als Gradmesser für die inzwischen erreichte Übereinstimmung der politischen Interessen der beiden Herrscher ist er jedoch von außerordentlicher Bedeutung. Hier verständigten sich nämlich zwei weit entfernt voneinander residierende Herrscher, die über 150 Jahre keinerlei Vertrag miteinander geschlossen und sich seit 1654 erst wieder diplomatisch aneinander herangetastet hatten, über ihre mittel– und langfristigen gemeinsamen politischen Interessen, Prioritäten und Pläne; und sie nannten exakt die Bedingungen, unter denen sie den Abschluss eines Bündnisses gegen ihre gemeinsamen Gegner, die Osmanen und den König von Schweden, für möglich hielten. Damit ist zugleich die bisherige Forschung zu korrigieren, die in Unkenntnis der Verhältnisse im 17. Jahrhundert die Ansicht vertritt, erst mit den Bündniserwägungen nach dem Tod Peters des Großen habe man am Kaiserhof erstmals die Einbeziehungen der Macht Russlands in die gegen Frankreich gerichtete Koalition ins Kalkül gezogen.[11] Das tat man schon sehr viel eher: spätestens seit 1675.
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Bemerkenswert ist darüber hinaus die schon 1675 erstaunlich weit reichende Interessenkoinzidenz zwischen Zar und Kaiser im Hinblick auf Polen: Beide Herrscher verbündeten sich nämlich nicht nur zum Schutze Polens, also zur Abwehr der Osmanen, sondern auch zur Bewahrung des »hergebrachte(n) status libertatis Poloniae«.[12] Die territoriale Integrität Polen–Litauens wollten sie zwar bewahren, aber ebenso wollten sie die Schwäche des polnischen Königtums gewahrt sehen. Diese Übereinkunft, über die »ein ordentlich tractat aufgerichtet werden« sollte, dürfte mithin eines der frühesten Dokumente für ein Übereinkommen über die sog. »Außensteuerung Polens« (Klaus Zernack) sein – was von einem Präliminarvertrag für ein »foedus austriaco–moscoviticum« aus dem Jahre 1675 wohl nicht unbedingt erwartet werden konnte.
Das 1675 vor allem auf Betreiben des Zaren in Aussicht genommene Bündnis gegen die Osmanen und Tataren ist jedoch erst 22 Jahre später, 1697, zustande gekommen. Vorangegangen war der Abschluss der Heiligen Liga 1684 und der indirekte Beitritt der Zaren zu ihr im Frieden von Moskau 1686. Wiederum vor allem aufgrund zarischen Bestrebens sagten die Bündnispartner, Kaiser Leopold, Zar Peter und der Doge von Venedig, einander im Februar 1697 zu, alle Kräfte auf diesen Krieg zu konzentrieren (Art. 1). Sie verpflichteten sich ferner, einander Informationen über den Fortgang des Kriegs zukommen zu lassen und beim Eintritt in Friedensverhandlungen einander vorher ihre Verhandlungsziele mitzuteilen (Art. 2), aber auf keinen Fall einen Separatfrieden zu schließen (Art. 3)[13]. Doch der Friedensschluss von Karlowitz 1699 veränderte diese Konstellation und ließ Zar Peter den Zugang Russlands zum Meer bald darauf nicht in Azov, sondern an der Ostsee suchen.
Zu den Ergebnissen der beiden folgenden großen Kriege, des Nordischen Kriegs und des Spanischen Erbfolgekrieg, gehört das 1726 zwischen Kaiser Karl VI. und Zarin Katharina I. geschlossene Defensivbündnis, das chronologisch letzte, von dem hier zu berichten ist. Die internationale Konstellation hatte sich in den vergangenen drei Jahrzehnten erheblich verändert: Schweden war von den Ostseeküsten weitgehend verdrängt worden; seinen Platz dort nahm nun das russische Kaiserreich ein. Karl VI., seit 1711 als Nachfolger seines Bruders Joseph I. Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, war der letzte Habsburger; er musste ohne die spanischen Ressourcen auskommen, war in seiner europäischen und Reichspolitik freilich auch nicht mehr durch habsburgische Interessen in Spanien gebunden.
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Zwischen Wien und Moskau war es in dieser Zeit, in den ersten beiden Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, immerhin zu einer gewissen Institutionalisierung der Beziehungen gekommen, nämlich zum Austausch ständiger Gesandter. Zuletzt jedoch hatte man sich auseinander gelebt. Die Flucht des russischen Thronfolgers nach Wien hatte die Beziehungen erheblich belastet, dann hatte Peter in Nystad 1721 mit den Schweden Frieden geschlossen, ohne dass der Kaiser seinem Wunsche gemäß Gelegenheit gehabt hätte, bei der Neuordnung Nordeuropas ein Wort mitzureden. Zudem hatten sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Wien und St. Petersburg wegen des von Peter 1721 angenommenen Kaisertitels noch weiter verschlechtert; der russische Kaisertitel führte denn im Gesandtschaftsverkehr auch noch zu manchen Skurrilitäten.[14] Doch im Grunde waren beide Seiten an einem spannungsfreien Verhältnis interessiert[15], und vor allem: sie waren in der bündnispolitischen Neuorientierung der europäischen Staaten nach den beiden großen Kriegen isoliert. Die Veränderungen der politischen Lage in Europa nach dem Tod Peters brachten sie einander näher, bis zum Abschluss des hier vorzustellenden Defensivbündnisses.
Und zwar geschah das, vertragstechnisch interessant, in zwei Schritten: Zunächst trat Kaiser Karl VI. im April 1726 durch ein »instrumentum accessionis« (instrument pristuplenija) der russisch–schwedischen Allianz vom Februar 1724 bei.[16] Im August 1726 trat dann Zarin Katharina I. in einem entsprechenden Akt dem spanisch–österreichischen Bündnis von 1725 bei.[17] Auf die Bestimmungen der Verträge und das politische Kalkül der vertragschließenden Parteien kann hier nur kurz eingegangen werden. Man sagte einander Friede und Freundschaft zu, garantierte die territoriale Integrität des anderen – auch die russische Garantie der Pragmatischen Sanktion war darin enthalten – und war im Kriegsfalle zu militärischen Hilfsleistungen verpflichtet, der Kaiser bezeichnenderweise nur, sofern diejenigen Länder der russischen Majestät betroffen waren, die in Europa lagen (»a Sua majestate totius Russiae in Europa possessorum«). In einem Geheimartikel hielt man fest, Sorge dafür tragen zu wollen, dass die Pforte ihre Besitzungen in Persien nicht zu sehr ausdehne.
Das gemeinsame Interesse war also wieder die Koordination der russischen und österreichischen Türkeipolitik und, indirekt, das Verhältnis zu Polen. Ferner wollte der Kaiser, wie aus den Vorakten deutlich hervorgeht, verhindern, dass der Zar ein anderes Bündnis eingeht. Aus russischer Sicht war wiederum die Anerkennung des neuen Besitzes an der Ostsee durch eine europäische Großmacht von großem Nutzen. Die Frage des russischen Kaisertitels umging man geschickt, indem stets von der »Majestas totius Russiae« die Rede war: Ob die Majestät nur »zarisch« war, wie seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vom Kaiser konzediert, oder »imperatorisch« und damit »kaiserlich« – was Wien bestritt –, wurde damit offen gelassen.
Unter dem Gesichtspunkt von Kontinuitäten in der internationalen Politik ist festzuhalten, dass die Bündnisse, denen Zarin und Kaiser beigetreten waren, bald obsolet wurden, dass sich aber die russisch–österreichische Allianz, im Grunde ein Beistands–, ja ein politischer Kooperationsvertrag, als Konstante im europäischen Staatensystem erwies – oder wie Walter Leitsch formuliert hat: der Anbau überlebte das Haus.
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2. ZUR SPRACHE DER VERTRÄGE UND DEREN BEGLAUBIGUNG
Die Verträge aus der Zeit Maximilians I. und der Präliminarvertrag von 1675 liegen auf russisch und deutsch vor, das Bündnis von 1697 und das von 1726 auf russisch und lateinisch. Substantielle Unterschiede zwischen den russischen und den deutschen resp. lateinischen Fassungen der Vertragstexte sind nicht festzustellen und wurden von den Diplomaten und in den Kanzleien beider Seiten auch nicht beklagt. Die russischen Formulierungen der Zeit klingen vielleicht ein wenig schwerfälliger und unbeholfener und lassen die Klarheit und Eleganz der lateinischen und französischen Fassungen vermissen – was aber ebenso für die deutschen Fassungen gilt.[18] Überhaupt stellte die Einigung über die Vertragstexte in zwei Sprachen ein geringeres Problem dar, als zumeist angenommen. Ein Sonderfall ist freilich im deutschen Exemplar des Vertrags von 1514 die unglückliche Übersetzung des Titels »Zar« als »Kaiser«, ein Schnitzer des kaiserlichen Gesandten, der die Brisanz nicht erahnen konnte, die der Titelstreit im Laufe des 16. und dann vor allem im 17. und frühen 18. Jahrhunderts erfahren sollte.[19] Ebenso wenig wie der Text der Verträge stellte ihre Beglaubigung ein Problem dar. Das sei im Folgenden näher ausgeführt.
1490 wurden die Beglaubigung des Unterhändlerinstruments und die Ratifikation in einem gestreckten Tatbestand durch Beeiden resp. Kreuzküssen unter Augenzeugenschaft des Gesandten des anderen Herrschers geleistet.[20] Der Vorgang dauerte auf diese Weise zwar über ein Jahr, er war aber im europäischen Vergleich weniger langwierig als er prima vista erscheint – man denke etwa an die Ratifikation des Damenfriedens von Cambrai 1529 – und: man hatte, was bislang übersehen worden ist, bereits die Ratifikation. Archaisch mutet er freilich insofern an, als die Gesandten der beiden Herrscher bei ihren Ratifikationsgesandtschaften stets gemeinsam unterwegs waren. Man wird in dieser Moskauer Gewohnheit, die der Zarenhof um die Mitte des 17. Jahrhunderts ablegte, einen sinnvollen Usus von Diplomatie unter den Bedingungen weiter und unsicherer Wege zu sehen haben, wie sie in den weiträumigen und militärisch umkämpften Grenzgebieten zu den Krimtataren gegeben und bis ins 16. Jahrhundert hinein für Moskau prägend waren.
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Welch erhebliche Veränderungen sich im folgenden Jahrhundert vollzogen, wird 1675 deutlich: Im Falle des Präliminarvertrags von 1675, der ja nicht ratifiziert wurde, wurde die Authentizität des Vertragstexts durch einen über alle Blätter jeweils unten auf der Seite fortlaufend geschriebenen Satz dokumentiert. Jener von der Hand Bottonis lautet: »Dieses mit dem teütschen gleichlautende russische original haben zu urkhundt der warheit, und das also abgeredt worden, unterschrieben wier, seiner kay. may. gevollmächtigte extraordinari abgesandte Hannibal Franz von Bottoni, Johann Carl Terlinger«. Von den zarischen Verhandlungsführern schrieben sowohl Bobinin als auch Ukraincev die Formel »Des großen Herrschers und ihrer zarischen Majestät Posol’skij D’jak Bobinin, Ukraincev.«[21]
1697 unterzeichneten zunächst die Verhandlungsführer den Vertragstext, anschließend erfolgte in der vorgesehenen Frist die schriftliche Ratifikation durch eine entsprechende Urkunde der beteiligten Herrscher, ebenso 1726.[22]
An den Beglaubigungsmitteln der im Verlauf von gut 200 Jahren zwischen Zar und Kaiser abgeschlossenen Verträge lässt sich also deutlich die Entwicklung von der Beeidigung und dem Kreuzküssen unter Augenzeugenschaft über ein offenbar ad hoc entwickeltes Verfahren zur Sicherung der Authentizität 1675 bis zur Unterhändler–Unterschrift in Verbindung mit herrscherlicher Ratifikationsurkunde 1697 und 1726 nachvollziehen.
3. ZUM GEMEINSAMEN NENNER DER VERTRÄGE: DAS APPELLPOTENTIAL
Die beiden Offensivbündnisse aus der Zeit Maximilians enthalten außer den jeweiligen Bündniszielen der beiden vertragschließenden Parteien keinerlei Appelle an Gemeinsamkeiten. Nur von den konkreten Kriegszielen ist die Rede, und zwar 1490 in konsequenter sprachlicher Parallelordnung: »mein väterliches Erbe Ungarn« für Maximilian und »dein väterliches Erbe Kiev« für Ivan III. Überhaupt ist die Grundstimmung kriegerisch und sehr konkret gegen die Jagiellonen gerichtet. Von irgendwelchen höheren Zielen ist nicht die Rede.
Das ist 1675 anders: Das Präliminarbündnis dient dem »Wohle der Christenheit«, »vsego christijanstvo k dobru«, wie es für Bündnisse christlicher Herrscher gegen die Osmanen typisch war. Aber implizit steht eben auch die gemeinsame Gegnerschaft zu Schweden in diesem Zusammenhang, ebenso das Interesse an der Erhaltung der politischen Verfassung Polens. Entsprechend wurde auch das Bündnis von 1697 »zum Wohle der ganzen christlichen Welt« abgeschlossen, »vsemu miru christijanskomu«.
Noch sehr viel deutlicher werden übergeordnete Ziele in den Beitrittsverträgen von 1726 formuliert. Wenig erstaunlich ist, dass nun »die gesamte Christenheit« und Europa nicht nur parallel vorkommen, sondern Europa sogar überwiegt: Weil die öffentliche Ruhe und das Wohl ganz Europas es fordern – »cum quies publica Universaeque Europae bonum postulet« lassen es sich die beiden Herrscher angelegen sein, ihre alte Freundschaft durch ein neues Bündnis zu stärken.
Art. 1 des kaiserlichen Beitrittsinstruments enthält sogar Rückgriffe auf rhetorische Verfahren des Westfälischen Friedens:
»Sit maneatque inter Suam Sacram Caesaream et Catholicam Majestatem ejusque Successores et Haeredes, et Suam Sacram Totius Russiae Majestatem, ejusque Successores et Haeredes, vera perpetuaque constans amicitia, eaque mutuo constans colatur,… ut Pax in Europa feliciter stabilata porro conservetur, et manuteneatur«.
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Auch das wenige Monate frühere kaiserliche Beitrittsinstrument ist voller Bekenntnisse zur Ruhe im Norden, dessen Allgemeinem Wohl und zum Frieden in Europa: An den Kaiser sei die Einladung ergangen, dem im Februar 1724 zwischen Schweden und Russland geschlossenen Bündnis und dessen geheimen Artikeln beizutreten, damit er mit Rat und Tat an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und des Friedens mitwirke (»ut memorato foederi [...] pro stabilienda quiete publica, et pace accedere [...] vellet« – »ctoby k pomjanutomu sojuzu [...] dlja ustanovlenija publicnoj tišiny i mira pristupit [...]«). Entsprechend habe der Kaiser aus seiner herzlichen Neigung zur öffentlichen Ruhe in Europa und besonders in dessen nördlichen Ländern schon lange den Wunsch zum Beitritt zu diesem Defensivbündnis gehegt und entsprechend seiner Liebe zum gesamten Norden, vor allem zu dessen allgemeinem und besonderen Wohl, seine Gesandten zu Verhandlungen instruiert. Das ist angesichts der langen Kriege, die beide Länder hinter sich hatten, sicher mehr als reine Rhetorik. Aber dennoch lohnt es, über diese Rhetorik noch ein paar abschließende Worte zu verlieren.
Bei allen hier vorgestellten Verträgen zwischen König und Großfürst resp. Kaiser und Zar handelt es sich um Bündnisse. Und immer betreffen sie das Verhältnis zu Polen, zumeist auch das zum Osmanenreich. In der besonderen Phase zwischen 1490 und 1514 bildet die Gegnerschaft der Herrscher Russlands wie des Reichs gegenüber den Jagiellonen den gemeinsamen Nenner: Der gemeinsame Kampf für »mein väterliches Erbe Ungarn« und »dein väterliches Erbe Kiev« genügte. 1675 kommt erstmals der Türkenkrieg als Hauptziel in ein kaiserlich–zarisches Bündnis, und damit bietet sich die Möglichkeit, die gemeinsame Gegnerschaft gegenüber den Osmanen allmählich ins Positive zu wenden: mit dem Anspruch, durch den Abschluss eines solchen Bündnisses an der friedlichen Gestaltung der europäischen Staatenwelt mitzuwirken. 1726 wird dann überdeutlich, wie die konkreten Strategien zur regionalen Friedenssicherung und das Bedürfnis der beiden Bündnispartner, ihrer Isolierung entgegenzuwirken, mit europäischer Friedensrhetorik überwölbt wird. Die konkreten bündnispolitischen Interessen erfahren auf diese Weise, versehen mit der Rhetorik von Friedensverträgen, eine erhebliche Aufwertung.
Zwei Aspekte verdienen abschließend eigens festgehalten zu werden: Bemerkenswert erscheint zum einen die bislang übersehene jahrhundertelange Kontinuität im Gespür der kaiserlichen und zarischen Regierungen für die Übereinstimmungen zwischen ihnen hinsichtlich der europäischen Staatenordnung. Zum anderen – und das erscheint für das fernere Studium von Friedensverträgen wichtig – sind Friedens– und Bündnisverträge offenbar nicht eindeutig voneinander abzugrenzen. Wie in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Einungen und Landfriedensbünden, in denen es zugleich um Frieden unter den Bundesgenossen und Schutz vor äußeren Feinden geht, setzten die besprochenen Bündnisverträge Frieden unter den vertragschließenden Parteien voraus. Mithin können Bündnisverträge, wie gezeigt, ebenso Ausdruck politischer Ordnungsvorstellungen sein wie Friedensverträge.
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ANMERKUNGEN
[*] Christine Roll, Prof. Dr., Historisches Institut (Frühe Neuzeit), Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen.
[1] Zu diesen Überlegungen wie zum Folgenden grundsätzlich meine in der Überarbeitung für den Druck befindliche Habilitationsschrift »Auswärtige Politik und politisches Weltbild. Zar und Kaiser in der europäischen Politik des 17. Jahrhunderts«. Konstanz 2003 (Manuskript).
[2] Bezeichnend für diese Schwierigkeit ist, dass z.B. die ausführliche »Table of Treaties« in dem neuen von Randall LESAFFER herausgegebenen Band »Peace Treaties and International Law«. Cambridge 2004, die auf neun Seiten zahlreiche Friedensverträge von der Antike bis in die Gegenwart auflistet, Verträge russischer Herrscher erst seit 1774 aufnimmt. Erst ab 1667 (Waffenstillstand zwischen Moskau und Polen in Andrusovo) sind sie bei Jean DUMONT (Hg.), Corps universel diplomatique du droit des gens, contenant un Recueil des Traitez d’Alliance, de Paix, de trève, de neutralité, de commerce, etc., qui ont été faits en Europe, depuis le règne de l'empereur Charlemagne jusques à présent, 8 Bände. Amsterdam 1726–1731 publiziert, und auch Georg Friedrich MARTENS (Hg.), Recueil des principaux traités d'alliance, de paix, de trêve, de neutralité, de commerce, de limites, d'échange etc. conclus par les puissances de l'Europe tant entre elles qu'avec les puissances et Etats dans d'autres parties du monde depuis 1761 jusqu'à présent, mit Suplement 2 Bände. Göttingen 1802–1808 beginnt seine Reihe erst mit dem Jahre 1648. Zwar liegen die russisch–schwedischen Verträge mit ergänzendem Material bei Olof Simon RYDBERG (Hg.), Sverges traktater med främmande makter. Stockholm 1888, gedruckt vor, enthalten aber die russischen Fassungen nicht. Zudem fehlt Teil VII, so dass zwischen 1638 und 1723 eine Lücke klafft. Die russische »Vollständige Sammlung der Gesetze« (PSZ), die mit dem Gesetzbuch von 1649 (Uloženie) einsetzt, enthält zwar als eine Art Anhang auch einige der vorher geschlossenen Verträge, ist aber textkritisch problematisch: Der wichtige russisch–schwedische Friedensvertrag von Stolbovo 1619 etwa findet sich dort als russische Rückübersetzung des schwedischen Textes. Noch mühsamer ist die Suche nach verläßlichen Texten der russisch–polnischen Verträge, für deren Publikation offenbar in keiner Phase der stets schwierigen russisch–polnischen Beziehungen Interesse bestand.
[3] Indessen bestand für den Zaren während des 17. Jahrhunderts stets die »Gefahr«, dass der Kaiser dem König von Polen gegen russische Angriffe zu Hilfe kam; deshalb gehörte zu den Aufträgen zarischer Gesandter am Kaiserhof auch immer die Klärung der Frage, »ob der Kaiser dem König von Polen hilft«. Dazu haben sich die Habsburger nicht entschlossen, sondern zwischen dem Zaren und dem König von Polen zu vermitteln gesucht.
[4] Beide Texte auf Deutsch bei Eduard Fürst LICHNOWSKY, Geschichte des Hauses Habsburg, Nr. IX und X, S. DCCLII–DCCLV, mit einigen offensichtlichen Lesefehlern. Auf Russisch: das von Ivan beeidete Exemplar PDS, Bd. 1, Sp. 37f., Maximilians ebd., Sp. 65–69.
[5] Von Truppenstärken oder –arten, Fristen, innerhalb derer die Hilfe geleistet zu werden hatte, und Orten, an denen Angriffe erfolgen sollten, war nicht die Rede; beide Herrscher sollten lediglich einander »hillffig sein, wo und wie wir daz vermögen«, so dass sie ihre Hilfe jeweils nach der allgemeinen politischen Konstellation und den eigenen militärischen Möglichkeiten bemessen konnten. Nach dem russischen Originaltext war zwar gemeint, dass die Vertragspartner »mit ganzer Kraft« einander helfen sollten, »...pomogati skol’ko možem so vseju našoju siloju«, deshalb hätte die Übersetzung vielleicht besser gelautet: »soviel immer möglich« – eine Formulierung, die man in den Landfriedenseinungen der Zeit häufig findet –, aber auch dann wäre der Interpretationsspielraum für beide Seiten immer noch erheblich gewesen. Eine deutsche Übersetzung des lateinischen Vertragstextes der Heligen Liga von Venedig: Inge WIESFLECKER–FRIEDHUBER (Hg.), Quellen zur Geschichte Maximilians I. und seiner Zeit. Darmstadt 1996, S. 66–70.
[6] So erklärt es sich auch, dass Boris Godunov nach der Wahl Sigismunds III. Wasa im Jahre 1587, als Erzherzog Maximilian in der Folge der strittigen Wahlen in Polen verhaftet worden war, sogleich ein Bündnisangebot nach Prag sandte; vgl. dazu Walter LEITSCH, Moskau und die Politik des Kaiserhofes im XVII. Jahrhundert (= Wiener Archiv für Geschichte des Slawentums und Osteuropas 4). Graz/Köln 1960, S. 13–18.
[7] Bis zum Erscheinen meiner in Anm. 1 genannten Habilitationsschrift die – in zahlreichen Urteilen irrige – Studie von Alfred Francis PRIBRAM, Österreichische Vermittelungs–Politik im polnisch–russischen Kriege 1654–1660, in: AÖG 75 (1889), S. 417–480.
[8] So betont es die Instruktion Leopolds für Bottoni und Terlinger, 27. März 1675, HHStA Wien, Russica 13 (1675), fol. 21r–34r, hier 24r–v: Vortrag, den die Gesandten in Moskau halten sollen.
[9] Ausfertigung auf Russisch, HHStA Wien, Russica 13 (1675), fol. 145r–148v, RV 150v; deutsche Kopie ebd., fol. 193r–195v. Während der Vertrag über das Zeremoniell (vgl. folgende Anm.) bei MARTENS, Recueil, Autriche, S. 2–12 gedruckt ist, wird dieser Präliminarvertrag von nur zwei Autoren erwähnt: Eben von MARTENS, S. XX/XXI, und von Nikolaj N. BANTYŠ–KAMENSKIJ, Obzor vnešnich snošenij Rossii [Übersicht über die auswärtigen Beziehungen Rußlands], 4 Teile. St. Petersburg 1894–1902, Teil 1, S. 25–26. Aufgeführt ist er noch bei Ludwig BITTNER, Chronologisches Verzeichnis der österreichischen Staatsverträge, Bd. 1. Wien 1903, S. 80, als »Präliminarvertrag« mit dem Hinweis, das Original sei im Staatsarchiv. Sonst findet sich keine Erwähnung. Im Russischen Archiv Alter Akten in Moskau (RGADA) befindet er sich nach dem Kommentar von Martens nicht.
[10] »Handlung wegen der Curialien und titulatur...«, 9. Okt. 1675, gedr. bei MARTENS, Recueil, Autriche, S. 1–13, parallel deutsch und russisch.
[11] Rainer POMMERIN, Bündnispolitik und Mächtesystem. Österreich und der Aufstieg Rußlands im 18. Jahrhundert, in: Johannes KUNISCH (Hg.), Expansion und Gleichgewicht. Studien zur europäischen Mächtepolitik des ancien régime. Berlin 1986, S. 113–164, hier S. 118.
[12] »Nachdeme seine czarliche may. dero hülff des königreichs Pohlen und derselben reipublicae habende guette intentiones, wie auch die assistenz, so sie crafft der mit Pohlen aufgerichteten tractaten derselben geleistet, und noch zu leisten gesonnen erklärt, haben seine kay. may. solche seiner czarlichen may. erzeigende sorgfalt hierinnen hochgerühmet und aestimiret; undt damit auch seine kay. may. an ihrem orth nichts ermanglen lassen dem königreich Pohlen und der reipublicae seinen gueten nachbarlichen willen, gleich als sie allezeit gethann, im werkh zuerweisen; erklären undt verbünden sich beede grosse herrn undt potentaten kräfftigist gegen einander: dass wan es sich begebe, dass der hergebrachte status libertatis Poloniae undt die respublica nothleyden, oder von iemandten angefochten, invadiret oder opprimiret werden wolte, alsdan beede potentaten verbunden seyn solten dieselbe collatis consiliis et quocunquemodo jeder an seinem orth, so vill möglich, bestens zu conserviren, undt manuteniren (195r) undt solle wegen diser sach unter ihnen beeden ein ordentlich tractat aufgerichtet werden«; HHStA Wien, Russica 13 (1675), fol. 193r–195v, hier fol. 195r–v.
[13] Der Vertrag vom 8. Februar/29. Januar 1697 ist – deutsch und russisch – gedruckt bei MARTENS, Recueil, S. 13–20. Er sollte drei Jahre gelten, mit der Option der Verlängerung, und auch im Falle seines Auslaufens sollte unter den Vertragspartnern die alte Freundschaft und Übereinstimmung fortbestehen (»...continuabit nihilominus inter eosdem foederatos veteris amicitiae animorumque consensio.« »prebyvati budet odnako–že meždu temi– že sojuznikam drevnej družby i serdec soglasie«), Art. 5
[14] Vgl. dazu den Aufsatz von Walter LEITSCH, Der Wandel in der österreichischen Russlandpolitik in den Jahren 1724–1726, in: JGO N.F. 6 (1958), S. 33–91.
[15] A. V. FLOROVSIJ, Russko–avstrijskie otnošenija v epochu Petra Velikogo. Prag 1955, S. 29–35; LEITSCH, Der Wandel in der österreichischen Rußlandpolitik, S. 43.
[16] Druck des Vertrags vom 17. April 1726 bei MARTENS, Recueil, S. 28–32.
[17] Druck des Vertrags vom 6. August 1762 ebd., S. 32–44.
[18] Hier sei als Kuriosität angemerkt, dass die Moskauer Übersetzer und Sekretäre auch den schon in der deutschen Übersetzung aus dem Lateinischen arg verunglückten »Mehrer des Reichs« – irrige Übersetzung des »semper Augustus« – direkt übernommen und daraus entsprechend »vsegda probavitel’« gemacht haben, zu übersetzen etwa als »immerdar Hinzufüger«.
[19] Vgl. zu 1514 Joseph FIEDLER, Die Allianz zwischen Kaiser Maximilian I. und Vasilij Ivanovic, Großfürsten von Russland, vom Jahre 1514, in: Sitzungsberichte der Philosophisch–Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 43 (1863), S. 183–289; zum Problem bis zum Erscheinen der in Anm. 1 genannten Arbeit: Isabel de MADARIAGA, Tsar into Emperor: The Title of Peter the Great, in: Robert ORESKO (Hg.), Royal and Republican Sovereignty in Early Modern Europe. Essays in Memory of Ragnhild Hatton. Cambridge 1997, S. 351–381.
[20] Dem Gesandten Maximilians wurde die von Großfürst Ivan III. aufgesetzte und besiegelte Urkunde zunächst zur Lektüre gereicht, über den Inhalt verhandelt wurde nicht. Diese Urkunde wurde durch großfürstliche Gesandten dem König überbracht, wobei die großfürstlichen Gesandten vom königlichen begleitet wurden. Maximilian ließ dann eine entsprechende Urkunde ausfertigen, siegeln und küsste darauf das Kreuz oder konnte »den Eid nach seiner Gewohnheit leisten«. Sobald die großfürstlichen Gesandten das von Maximilian ausgefertigte Exemplar gesehen hätten, küssten sie vor Maximilian das Kreuz auf die großfürstliche Urkunde und beeideten damit, dass Ivan den Vertrag ebenfalls beeiden werde. Maximilian ließ dann das von ihm besiegelte und beeidete Exemplar durch einen eigenen Gesandten dem Großfürsten überbringen. Dieser schließlich nahm Maximilians Urkunde in Empfang und küsste selbst vor dessen Gesandten das Kreuz. Die großfürstlichen Gesandten waren gehalten darauf zu achten, dass Maximilian den Vertrag genau nach dem Wortlaut der mitgeschickten Vorlage ausfertige, und zwar am besten auf Russisch, »russkim pis’mom«, wenn er einen Serben oder Slovenen als Schreiber habe; andernfalls könne er die »gramota« (Urkunde) auch auf Latein oder Deutsch ausfertigen lassen. Allerdings müsse sie dann ins Russische übersetzt werden, und dieses Exemplar müsse von Maximilian durch Kreuzküssung beeidet werden. vgl. PDS, Bd. 1, Sp. 31–37.
[21] «Velikogo gosudarja ego carskogo velicestva posol'skij d'jak«.
[22] Vgl. die Hinweise bei MARTENS, Recueil, S. 20 und S. 32.
ZITIEREMPFEHLUNG
Christine Roll, Politisches Kalkül und diplomatische Praxis. Zu den Verträgen und Vertragsverhandlungen zwischen Zar und Kaiser im 16. und 17. Jahrhundert, in: Heinz Duchhardt / Martin Peters (Hg.), Kalkül – Transfer – Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne, Mainz 2006-11-02 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 1), Abschnitt 53–62.
URL: <http://www.ieg-mainz.de/vieg-online-beihefte/01-2006.html>.
URN: <urn:nbn:de:0159-2008031300>.
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