Organisation des Religionswesens im frühneuzeitlichen Territorialstaat – das konsistoriale Kirchenleitungsmodell in der theologischen und kirchenrechtlichen Diskussion (ca. 1550–1620)
Das von 2007 bis 2013 am IEG durchgeführte Forschungsprojekt von Johannes Wischmeyer setzte bei einem charakteristischen Aspekt des sogenannten konfessionellen Zeitalters an: der Neuschaffung oder Fortbildung von zentralen Institutionen der Kirchenleitung auf der Ebene des frühneuzeitlichen Territorialstaats. Die doppelte Leitfrage lautete, welche Modelle für derartige Institutionen in der nachreformatorischen Zeit im theologischen und kirchenrechtlichen Diskurs entwickelt wurden und in welchem Verhältnis die angebotenen Lösungen zur kirchenorganisatorischen Praxis im Territorium standen. Zur Beantwortung dieser Frage wurden die drei überregional ausstrahlenden Konfessionen – die römische Kirche sowie die sich formierenden lutherischen und reformierten Kirchengruppen – vergleichend untersucht. Ein besonderes Interesse galt dem interkonfessionellen Transfer von Argumenten und Modellen. Gegenüber dem bisherigen Forschungsstand setzen insbesondere die folgenden vorläufigen Ergebnisse neue Akzente: 1.) Die Diskussionen um institutionelle Ausgestaltung und theologische Begründung wurden überall, auch bei den Protestanten, von theologischer Seite als Kampf um die Behauptung geistlicher Eigenrechte geführt. 2.) Das Konsistorialmodell erwies sich nicht nur im lutherischen Umfeld als ein erfolgreiches Integrationsinstrument im Sinne landesfürstlicher Kirchenhoheit. Speziell bei den Lutheranern nahmen die Theologen das Bestehen dieser Institution jedoch auch zum Anlass, nachdrücklich ihr geistliches Herrschaftsinteresse zu artikulieren. 3.) Keineswegs waren auch in den protestantischen Territorien politisches Territorium und geistliches Hoheitsgebiet deckungsgleich. Im Rahmen des Projektes wurden mannigfaltige Modelle untersucht, wie man in der Praxis des frühneuzeitlichen Religionsrechts mit einem derartigen Auseinanderklaffen des religiösen und des politischen Raums umging. Die zentrale ideenhistorische Untersuchung und kleinere daraus abgeleitete Fallstudien auf der Basis von Archivquellen wurden auf mehreren internationalen Tagungen vorgestellt. Im Rahmen des Forschungsbereichs »Raumbezogene Forschungen« wurde aus dem Projekt eine Kartenserie im Rahmen des Atlas Europa entwickelt, die in der Frühneuzeitforschung auf Interesse gestoßen ist. Am IEG wurde eine interdisziplinäre Tagung veranstaltet (Förderung: Fritz Thyssen Stiftung) mit dem Ziel, Wissenschaftler zusammenzuführen, die aktuell ähnliche Themen mit einem regionalen Fokus von Schweden bis Siebenbürgen bearbeiten. Beiträge und Diskussion werden unter dem Titel Zwischen Ekklesiologie und Administration. Modelle territorialer Kirchenleitung und Religionsverwaltung im Jahrhundert der europäischen Reformationen publiziert. Zudem organisierten Heinz Duchhardt und Johannes Wischmeyer 2012 eine Tagung zum Thema Wiener Kongress und Kirchenpolitik, die mit einem Schwerpunkt des Forschungsbereichs – der Frage nach der räumlichen Umsetzung von Religions- und Konfessionspolitik – in engem Zusammenhang steht.Das Forschungsprojekt wurde von Johannes Wischmeyer bearbeitet.