Zwischen Brüdern und Erbfeinden. Christliche und muslimische »Grenzgänger« in und um Spanisch-Nordafrika (ca. 1851–1869)
In ihrem Dissertationsprojekt untersuchte Sara Mehlmer Formen der Grenzüberschreitung zwischen Marokko und Spanien im Grenzgebiet um Spanisch-Nordafrika (Ceuta und Melilla) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (ca. 1851–1869). Der Fokus der mikrohistorisch ausgerichteten Arbeit lag dabei auf den Personen und Personengruppen, die die spanisch-marokkanische Grenze mehr oder weniger dauerhaft überschritten hatten, sowie auf den konkreten Praktiken der Grenzüberschreitung. Die Arbeit stellte dabei die Rolle physischer und psychischer Gewalt sowie von religiösen, ethnisch-nationalen und sozialen Zugehörigkeiten in den Mittelpunkt und analysierte diese im Hinblick auf die Durchführung, Legitimierung, Verhinderung und Rückgängigmachung sowie die Deutung der Grenzüberschreitungen.
Dem Islam kam in der Konstruktion des katholisch-spanischen Selbstverständnisses seit der so genannten ›Reconquista‹ die Rolle des traditionellen Antagonisten und bedrohlichen Erbfeindes zu. Der Festungscharakter der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, die seit dem ausgehenden 15. Jh. einer erneuten Invasion durch die ›moros‹ vorbeugen sollten, lässt sich als Sinnbild dieser ›ewigen Feindschaft‹ sowie scheinbar unüberbrückbarer religiöser, kultureller und nationaler Gegensätze lesen. Die verschiedenen Fälle der Grenzüberschreitung beweisen jedoch die Relativität und (bedingte) Durchlässigkeit eben jener religiöser, kultureller sowie nationaler Grenzen und konterkarieren damit nicht nur das noch im 19. Jh. gängige binäre Schema ›Katholiken / Spanier‹ vs. ›Muslime / Marokkaner‹, sondern lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die sich wandelnde Rolle von Staat und Kirche in Spanien zu.